Dawit oder Jedes Jahrhundert hat seine Fratze
Roth, Wolfgang Martin
Der schwedisch-eritreische Schriftsteller und Journalist Dawit Isaak wurde 2001 in Eritrea verhaftet. Nach vier Jahren kam er 2005 in Asmara frei und wurde nach nur zwei Tagen vom eritreischen Geheimdienst erneut inhaftiert. Er wird seitdem in Isolationshaft gefangen gehalten, vermutlich in einem Schiffscontainer in Eiraeiro, einem eritreischen Geheimgefängnis.
EIN FUNKE TROTZ
„Jedes Jahrhundert hat seine Fratze“, lautet der Untertitel des ersten Theaterstückes des Autoren Wolfgang Martin Roth, bislang vor allem als Hörspiel-und Prosaautor in Erscheinung getreten und durch seine umfangreiche und engagierte Arbeit für den PEN: Beim österreichischen PEN war Roth langjähriger Beauftragter für Writers-in-Prison und übersetzte Dawit Isaaks (von dessen Schicksal DAWIT handelt) frühen Roman „Hoffnung“ ins Deutsche. Im Kontext eines zutiefst humanistisch geprägten Impetus des Schreibens in der Tradition der literature engagé ist auch und vor allem DAWIT zu lesen und hoffentlich bald zu sehen, denn der Text liegt mittlerweile zur Uraufführung frei bei Litag München vor.
Die Fratzen der Jahrhunderte sind seit jeher abscheulicher Natur, müßig zu erwähnen, dass das 20. Jahrhundert in Sachen Barbarei einen traurigen Höhepunkt dargestellt hat. Dass aber trotz aller Bemühungen, aus der Geschichte zu lernen, kaum Chance besteht, Gräueltaten vorzubeugen, dass also sozusagen das Zitat „history repeating“ in unsäglicher Weise greift, müssen wir 2022, tief verunsichert durch die pandemischen Zeitläufte, nun angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine einmal mehr erschreckt wahrnehmen.
Dass es aber gleichzeitig Einzelschicksale gibt, die angesichts der bedrohlichen Weltlage in Vergessenheit geraten, dagegen schreibt Roth mit DAWIT an:
Der schwedisch-eritreische Schriftsteller und Journalist Dawit Isaak wurde 2001 in Eritrea verhaftet. Nach vier Jahren kam er 2005 in Asmara frei und wurde nach nur zwei Tagen vom eritreischen Geheimdienst erneut inhaftiert. Er wird seitdem in Isolationshaft gefangen gehalten, vermutlich in einem Schiffscontainer in Eiraeiro, einem eritreischen Geheimgefängnis. Dass dieser sensible Mensch voller Zivilcourage seit nunmehr über 20 Jahren unter unmenschlichsten Umständen in Gefangenschaft ist, dass keine Hilfe ihn erreichen kann, und vor allem, dass er kurz scheinbar der Hölle entkam, nur um in eine dadurch umso schlimmere Situation nach zwei Tagen wieder zu geraten – eine Situation, wie man sie nur aus einem Hollywoodfilm wie DER MARATHON MANN zu kennen meint, wenn Dustin Hoffmann seinem Folterer Laurence Oliver entkommt, in ein Auto flüchtet, aber von diesem Auto unmittelbar wieder zurück zur Folterkammer gebracht wird –all das also, ist Zeugnis der Bestialität des scheinbar aufgeklärten Menschen im 21. Jahrhundert.
Roth lässt uns in seinem Monolog Dawits teilhaben an dessen Ängsten, dessen Sehnsüchten, dessen Zweifeln, dessen Hunger nach Leben, dessen Heimweh, dessen Hoffen nach Normalität und gleichzeitig seiner Ausweglosigkeit, gefangen in einem Höllenkreis quälender Gedanken. Dabei ist dieser Text nie spekulativ, sondern spürt und fühlt diesen Gedanken in tief humanistisch geprägter Art und Weise nach. Wir erinnern uns an die Traurigkeit des Rosenverkäufers in Robert Schneiders DRECK, wir erinnern uns ans Zaudern und Zögern Joseph-Rothscher-Figuren wie der des Franz Tunda in FLUCHT OHNE ENDE, über den wir zum Schluß lesen müssen: „So überflüssig wie er war niemand in der Welt.“ Dies könnten auch die Gedanken Dawits sein, und umso mehr geht der Text dagegen an und der Rezipient wird mitgerissen vom Schicksal dieses Menschenrechtlers, dessen Leben es unbedingt zu bewahren gilt – nur wie?
Sprachlich gelingt Roth das in einem furiosen, gefühlsmäandernden Text, dabei Mittel der Reportage und des surrealen (Schein-)Dialoges nutzend, auf Astrid Lindgrens wunderbares Gedicht WÄRE ICH GOTT als Mantra zurückgreifend. Um dem Jahrhundert beizukommen, dem Schicksal Dawits eine Chance auf eine positive Wendung zu geben.
Dem fratzenhaften Jahrhundert die Stirn bietend, das macht Dawit, das macht Roth mit seinem Text, das sollte ein Theater mit der Uraufführung dieses Werkes tun. Denn, wie Roth Dawit sagen lässt: „Ich lebe, wenn man das Leben nennen will. Ein Fünkchen nur, nicht Hoffnung, Hoffnung ist das nicht, es ist Trotz. Dieser Funke lässt sich nicht austreten, das ist meine DNA, die kriegt ihr nicht kaputt.“ Lassen wir den Funken des Dawitschen Trotzes mit dem Werk Roths aufflammen.
Boris Motzki, Dramaturg Staatstheater Mainz