Mittelalter meets Moderne
Salzburger Festspiele 2020, ein Ausnahmejahr: die Festspiele feiern 100 jähriges Bestehen, und die Bedingungen sind der Ansteckung wegen die Ungünstigsten, die man sich denken kann. Aber nichts kann die Kreativen abhalten. Es wurde und wird alles getan, um die Festspiele stattfinden zu lassen. Jetzt erst recht.
Nicht nur das grosse klassische Programm macht Appetit, es gibt auch Kleinode zu entdecken, die eher im Verborgenen blühen, räumlich wie auch vom Inhalt her. Und: Karten für solche Events verkaufen sich komplett innerhalb 24 Stunden – wenn das Angebot stimmt.
Dazu gehört die GalerieThaddaeus Ropac, beheimatet in der ungefähr 160 Jahre alten klassizistischen Villa Kast. Dort, in den hohen, lichtdurchfluteten weissen Räumen findet eine Ausstellung von Gemälden des Malers Anselm Kiefer statt mit Bildern, die dieser Walther von der Vogelweide gewidmet hat.
In den Räumen des Parterre und des ersten Stocks der Villa, deren Gartenfront an den Mirabellgarten grenzt mit einem grossartigen Ausblick auf die blühenden, in barocker Manier geschwungenen Rabatten, hängen wunderbare grossformatige Bilder. Sie sind in der Provence entstanden, und sie strahlen die sommerliche Hitze aus, riechen nach Heu und atmen die Garrigue. Man hört die trockenen Halme knistern. Leuchtende Blüten dazwischen, und manchmal überraschende Objekte, wie zum Beispiel alte Sensen oder Sicheln, sind in die Leinwände eingearbeitet. Das gibt den Bildern einen Hauch von früherer Zeit, und eine raue Ländlichkeit, nichts romantisches.
In diesem Ambiente liest Sunnyi Melles, seit vielen Jahren aktiver Gast der Festspiele, Gedichte von Walther von der Vogelweide. Auf der klassizistischen Freitreppe stehend, mit Mundschutz und Visier geschützt (und trotzdem gut verständlich), liest sie die mittelalterlichen Texte, die durch ihre Liebesthematik nichts an Aktualität eingebüßt haben. Es wird gelitten und gesehnt, soziale Unterschiede hemmen und trennen. Sie nimmt die Textzitate, die in die Bilder Anselm Kiefers mit weisser Kreide eingearbeitet sind, als Aufhänger. „Under der linden“ lautet eines der Textzitate auf den Bildern und damit leitet sie die Lesung ein. Nix ist süss, die Bilder nicht und die Texte nicht. Ihr Vortrag ist ohne Pathos und das tut den Gedichten gut.
Eine wunderbar homogene Mischung von Mittelalter und Moderne. Ein wunderbarer Salzburgtag. © Gi 2020