Jean-Claude Berutti: Eine europäische Karriere

Ein Bindeglied zwischen Frankreich und Deutschland zu sein ist in meinem Fall nahezu durch die Familie bedingtes Schicksal…. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dass diese Verbindung sich auf dem Theater abspielte, ist schlichtweg die Folge meines Berufs.
Sehr früh schon habe ich mich dafür interessiert, was auf deutschsprachigen (deutschen oder österreichischen) Bühnen passiert und habe dadurch automatisch in Deutschland zu arbeiten begonnen.
Beide Sprachen zu beherrschen war natürlich die Voraussetzung, um dieses ganz besondere künstlerische Abenteuer zu beginnen.
Wenn ich an meine Anfänge als junger Regisseur zurückdenke, fällt mir als erster ein, dass meine Schultheatergruppe und ich mit meiner ersten Inszenierung in Toulon zu einem Schultheatertreffen in die Partnerstadt Mannheim eingeladen wurden. Bei dieser Gelegenheit haben wir auch das Nationaltheater Mannheim besucht, und ich war sehr beeindruckt von diesem Erfurcht einflössenden Gebäude mitten in der Stadt.
Meine Liebe zum deutschsprachigen Theater entstand, als ich ungefähr 20 war. Von da ab habe ich nicht mehr aufgehört, die grossen Inszenierungen der Schaubühne über die Jahre hinweg zu verfolgen, auch die vom Burgtheater während der Peymann-Ära, um mir eine solide Basis an Theaterkultur anzueignen. Es sind jetzt ungefähr 15 Jahre vergangen, seit ich begonnen habe, an der Oper Leipzig zu inszenieren. Seither ist kein Jahr vergangen, ohne dass ich nicht eine oder zwei Inszenierungen in Dortmund , München, Wien, Hamburg, Essen, Braunschweig gemacht hätte. Heute bekleide ich die Position des Operndirektors in Trier.
Und natürlich habe ich stets bei meinen Reisen von einer Stadt in die andere Theatertexte in der Tasche gehabt, deutsche Texte, schweizerische und österreichische für die Franzosen und Belgier, belgische und und französische Texte für Deutschland und Österreich.
Bei diesem Abenteuer der „Grenzüberschreitung“ hatte ich Unterstützungvon der Übersetzerin Silvia Berutti-Ronelt, die ihrerseits auch nach neuen Stücken gesucht hat.
Heute kann ich sagen, dass ich die deutschen, französischen und belgischen Theatersysteme aus der praktischen Arbeit genau kenne und mit ihnen arbeite und ihre unterschiedlichen Qualitäten akzeptiere. Das Wissen um die unterschiedlichen Mittel der „Herstellung“ von Theateraufführungen erlaubt mir, Vorschläge neuer Texte einem Intendanten, einem Theaterverlag, einer Schauspielerin, einem Privattheater oder einem subventionierten Theater zu machen, die der Situation der Häuser angepasst sind. Das Theaterleben ist abenteuerlich und oft wird von zehn gemachten Vorschlägen nur einer konkreter in Erwägung gezogen. Daher ist es nötig, Verbindungen zu schaffen, Kontakte zu multiplizieren und neugierig zu bleiben auf alles, was neu geschrieben wird, für alle Formen des Theaters offen zu bleiben, ohne auf eine Richtung fixiert zu sein, immer vorausgesetzt, dass die Werke Qualität besitzen.
Ich habe in den letzten Jahren einige Stücke von Eric Assous in Deutschland inszeniert, übersetze gerade die neue Version der „Lysistrata“ von Sybille Berg, während ich in Hamburg das Stück „Die Turing-Maschine“ von Benoît Solès zur deutschsprachigen Erstaufführung auf die Bühne gebracht habe.
In diesem Zusammenhang darf ich nicht vergessen, die beachtliche Arbeit der Netzwerke zu erwähnen, vor allem jenem, dessen Vorsitz ich in den Jahren 2004 bis 2011 inne hatte, der „Convention Théâtrale Européenne“ (Europäische Theatervereinigung), die das Schreiben, die Übersetzung und die Produktion von Texten aller Europäischer Länder unterstützen. Die sich stetig entwickelnde Kraft dieses Netzwerks (zu Anfang nur zwischen Frankreich und Deutschland) hat es erlaubt, im Laufe der Zeit wesentliche Werke zwischen beiden Ländern zirkulieren zu lassen.
Wenn ich einen Wunsch äussern dürfte, dann hätte ich zwei:
– dass das Wissen um die sehr unterschiedlichen Produktionsbedingungen in Deutschland und Frankreich es möglich machen würde, die Grenzen zwischen subventioniertem Theater und Privattheater niederzureissen.
– dass man lernt, zweisprachige Theaterstücke zu koproduzieren in beiden Ländern, die helfen würden, die Freundschaft zwischen den Völkern zu festigen.

Jean-Claude Berutti © 2021

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